Über mich...

November 1999. Ich bin eine 15 Jahre alte Gymnasiastin und meine Eltern sagen, wir müssen Istanbul verlassen. Wenige Tage später bin ich in einem Flüchtlingsheim in Hamm. Sechs Monate später auf einer Hauptschule in Bielefeld. Denn man sagt mir: „Du schaffst kein Gymnasium ohne Deutschkenntnisse.“ Aber auch die Hauptschule ist nicht einfach. Vor allem wegen meiner Klassenlehrerin.


"Du schaffst es nicht"

Sie meint nämlich die Fehler aus meiner Deutscharbeit anonym der ganzen Klasse vorlesen zu müssen, weil sie so lustig wären. Alle lachen. Ich will im Boden versinken. Irgendwann sagt sie mir noch: „Nalan, du kannst kein Deutsch. Du wirst sowieso nach der Schule heiraten. Warum willst du studieren? Du schafft es nicht.“

Mein Vater, ebenfalls Lehrer, ist schockiert. Ich zutiefst verunsichert. Dennoch: Ich wechsele aufs Gymnasium. Von da an nimmt die Geschichte eine positive Wendung: Meine Klassenlehrerin entschuldigt sich für ihre Vorurteile und bietet mir Nachhilfe in Mathe an, falls ich die ersten Monate auf dem Gymnasium Schwierigkeiten haben sollte. Nachdem ich mein Abitur mache, lässt sie mein Abiturzeugnis auf dem schwarzen Brett der Hauptschule aufhängen. Jahre später lade ich sie auf einen Kaffee ein und zeige ihr mein Diplomzeugnis in Politikwissenschaften. Wir sind beide zu Tränen gerührt. 

Alles ist möglich

Eigentlich wollte ich Journalistik studieren. Der Wunsch bestand seitdem ich mit 13 zum ersten Mal am Mikrofon eines Istanbuler Lokalsenders saß und eine Kindersendung moderierte, deren Moderationen mein Vater für mich formulierte. Aber nach nur fünf Jahren in Deutschland schaffte ich nur eine Abiturnote von 2,6. Somit war das Journalistik Studium mit einem NC von eins komma noch etwas nur noch ein Traum. 

Aber ich blieb dran und arbeitete im Campus Radio meiner Universität. Es war zwar kein Politik-Journalismus, aber immerhin durfte ich die Mensa-Pläne vorlesen. In dieser Zeit hörte ich von einem Reportage-Wettbewerb der türkischen Redaktion des WDR Funkhaus Europa, heute Cosmo. Da ich beim Campus Radio gelernt hatte, wie man Audios schneidet, nahm ich an dem Wettbewerb teil und gewann den ersten Preis. 

So landete ich über Umwege also doch im Journalismus. Nach meiner RIAS Media Fellowship an dem DeWitt Wallace Center for Media & Democracy der Duke University war für mich endgültig klar: Alles ist möglich. Das Geld wird überbewertet. Man muss nur gute Ideen haben.


Weil Sichtbarkeit empowert

Von da an führte eins zum anderen: Ich machte mein Volontariat bei der Deutschen Welle (DW) mit spannenden Stationen wie beim ARD Morgen Magazin, Bento beim Spiegel und dem Auslandsstudio der DW in Washington D.C. Anschließend arbeitete ich in der Abteilung „Formatentwicklung und Innovationen“ der Programmdirektion und entwickelte digitale Formate für die Social Media Kanäle der DW. 

2020 entwickelte ich eine deutsch-migrantische Late Night Show, die Januar 2020 mit ihrer ersten Folge online ging. Gesponsert dank den Spenden meiner Follower*innen. Inklusive der Rubrik „Du schaffst das nicht“. Darin stellte ich erfolgreiche Migrant*innen vor, die denselben Satz gehört und es auch geschafft hatten. Damals wusste ich noch nicht, dass die Pandemie mir einen Strich durch die Rechnung machen würde. 

Und dann kam das Coronavirus

„Sind türkische Gene immun?“, fragten mich meine türkischen Follower*innen im März 2020. Sie hatten das in einer türkischen Nachrichtensendung von dem Sender „HaberTürk“ gehört. Als ich diese und andere Fake News entdeckte, wie die These, man müsse pures Alkohol trinken, um sich gegen das Coronavirus zu schützen, bemerkte ich, wie gefährlich die Situation war. 

Mit einem Tweet appellierte ich an die Bundesregierung und bat sie um Informationen in verschiedenen Sprachen. Noch am selben Tag meldete sich das Bundesministerium für Gesundheit und wir produzierten das erste deutsch-türkische Aufklärungsvideo über das Coronavirus. 

Mit Fakten gegen Desinformation 

Es gab nicht genug Informationen auf Türkisch, also startete ich meine „türkische Tagesschau“ auf YouTube. Entstanden aus der Not, wurde mein gemeinnütziger Journalismus von Project Together, der Schöpflin Stiftung, der Robert Bosch Stiftung sowie der Wissenschaftspressekonferenz e.V. gefördert. 

Der Wachstum meines YouTube Kanals von ca. 300 Abonnenten auf fast 30.000 Abonnenten bewies mir den Bedarf an deutsch-türkischen Nachrichten, weshalb ich an der Vision eines privaten „deutsch-türkischen ARTE“ arbeite. 

Gefördert wurde meine Vision bisher von Media Lab Bayern. Beim Förderkosmos Journalismus von Netzwerk Recherche und dem YouTube News Creator Accelerator Programme, das gemeinsam mit dem European Journalism Center durchgeführt wurde, habe ich an der Idee gefeilt. 

September 2022 zeichnete der Deutsche Journalistenverband die Vision als die „Beste Medien Start-up Idee“ aus. 

Es ist höchste Zeit

Information ist Macht. Sie empowert und wirkt gegen Desinformation. Im Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es: „(1) Jeder hat das Recht (…) sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Das Attribut „ungehindert“ ist für mich wichtig. Denn fehlende Sprachkenntnisse stellen eine Hindernis dar. Das möchte ich ändern. 

Das Ziel: Ein deutsch-türkischer Digitalverlag

Deutsch-Türk*innen leben seit 60 Jahren in Deutschland. Dazu zählen auch Kurd*innen wie meine Eltern, die ebenfalls Türkisch sprechen. Ist es nicht seltsam, dass es immer noch kein einziges bilinguales Medium für sie gibt? 

Mit meinem Start-up „Nalan Sipar Media“ (NSM) möchte ich das ändern. NSM wird ein deutsch-türkischer „Digital Publisher“, der im Auftrag von anderen Sendern deutsch-türkischen Video-Content produziert und auch auf eigenen Social Media Kanälen publiziert. Denn deutsche Medienhäuser erreichen diese Zielgruppe nicht. Wir fangen zwar erst mit der größten migrantischen Community an, mittelfristig soll die Sprache aber auf weitere Communities wie Arabisch oder Russisch erweitert werden. Mithilfe der künstlichen Intelligenz ist die mehrsprachige Produktion nur noch ein Klick entfernt.  

Nichts Schöne war jemals einfach 

Aber ich bin ja vom Beruf Journalistin und hatte bis zu der Pandemie keine Ahnung vom Gründen, den "Pitchdecks", Produktentwicklung, der richtigen Rechtsform für Start-ups oder Investorengesprächen. Das bedeutete Selbststudium, Seminare, Workshops oder Beratungen in den Abendstunden oder am Wochenende.

Es war und ist nicht einfach. Weder finanziell noch persönlich. Aber allein die Vision, mit einem solchen Medium die deutsche Medienlandschaft zu revolutionieren, den Diskurs über Migrant*innen zu ändern, Nachahmer aus anderen migrantischen Communities zu empowern, um die Medienlandschaft diverser zu machen, macht mich glücklich.

Das Vertrauen, die Liebe sowie die Unterstützung aus der Community sind mein Treibstoff. Und eins weiß ich genau: Nichts Schöne war jemals einfach. Daher mein Motto:

Journalismus im Auftrag der Community. Im Sinne der ganzen Gesellschaft.

Wer weiß, vielleicht schaffe ich es ja. Folgen Sie daher gerne meiner Arbeit und lassen Sie uns im Gespräch bleiben.